Wandern nach dem Eselprinzip: Immer mit der Ruhe

Wandern nach dem Eselprinzip: Immer mit der Ruhe

In der Gruppe zu wandern ist zunächst nichts Besonderes. Doch wenn ein Gruppenmitglied ein Esel ist, ändert sich so manches. Zum Beispiel das Tempo. Eselwandern bringt einen zur Ruhe. 

Ventalon drosselt das Tempo. Leider hat er sich dafür einen denkbar ungünstigen Moment ausgesucht – zumindest aus Menschenperspektive. Über den Sevennen im Südosten Frankreichs tobt schon den ganzen Tag eine Unwetterfront mit einem steten Wechsel zwischen Nieselregen, Gewitter, Starkregen, Hagel und mehrminütigen Regenpausen. Die Wetterfront zieht oben, wir unten.

Tempo raus bei Starkregen

Es ist der fünfte Tag unserer Rundwanderung und es die längste Etappe. Sie führt von Villefort nach Masnouveau, ist 20 Kilometer lang und hält gleich zu Beginn einen soliden Aufstieg bereit bis hoch auf rund 1200 Meter zum Le Bousquillou. Den haben wir bereits hinter uns gelassen. Das Gewitter war glücklicherweise schon durch als wir den Gipfel erreichten. Jetzt aber prasselt wieder der Starkregen und Ventalon, unser Packesel, nimmt den Gang raus. Starkregen ist nicht sein Ding. Unseres auch nicht, doch im Gegensatz zu ihm, würden wir gerne die Flucht nach vorne antreten. Geht nicht. Macht nichts. Ventalon hat das japanische Sprichwort “Wenn du es eilig hast, dann gehe langsam” offenbar schon lange verinnerlicht und wir durften in den vergangenen Tagen von ihm lernen. Er hat von Anfang an die Ruhe bewahrt und uns zwei hektische Städter gelehrt, dass man auch mit Bedacht ans Ziel kommt.

Sechs Tage mit Packesel durch die Sevennen: 100 Kilometer, 3000 Höhenmeter

Meine zwölfjährige Tochter und ich kommen mittwochs in Castagnol, dem Start- und Endpunkt unserer Tour an. In Castagnol  leben zehn Menschen und rund 60 Esel, von der Autobahn sind es über zwei Stunden Richtung Westen. Am besten nochmal tanken, bevor man sich auf den Weg in die Tiefen der Sevennen macht, denn es wird sehr schnell sehr ländlich.

Ein Kind und ein Esel gehen einen Felsweg hinauf.
Hinauf nach Gourdouse.

Ich war mir vor dem Start der Tour nicht immer sicher, ob die Urlaubswahl die richtige war. Sechs Tage hintereinander wandern, insgesamt rund 100 Kilometer weit und etwa 3000 Höhenmeter hoch, die Etappen zwischen 13 und 20 Kilometer lang, Wanderdauer zwischen fünf und siebeneinhalb Stunden – ein Programm, das nicht nur für ein Kind eine Herausforderung ist. Doch er greift, der Eseleffekt. Der Vierbeiner beschäftigt einen, man muss sich auf ihn einstellen, man achtet weniger auf Zeit und Anstrengung.

Keine Frage, die 900 Höhenmeter am ersten Tag waren ermüdend, und am zweiten Tag zieht sich die Strecke am Ende zäh dahin. Doch der Esel lenkt ab, wir bleiben stehen, weil er mal wieder ein Maul voll Buchenblätter nimmt, wir kontrollieren immer wieder den Gepäcksattel, wir nehmen uns Zeit. Maximal 40 Kilogramm Gepäck darf der Esel tragen. Wer mehr dabei hat, muss selbst Gepäck schultern. Wir hatten 28 Kilogramm, verteilt auf zwei wasserfeste Transportsäcke. Essen und Trinken hatten wir in unseren Wanderrucksäcken.

Überzeugungsarbeit an Pfeiler eins

Wanderweg in den Sevennen mit einem Steinpfeiler rechts.
Steinpfeiler unterhalb des Sommet de Finiels

Ab Tag drei geht alles wie von alleine. Wir wandern entlang eines malerischen Waldpfads locker hinauf auf 1699 Meter in Richtung Sommet de Finiels, passieren einen Rest Schnee, gehen über den flach ansteigenden Gipfel durch eine karge Landschaft, die einen tollen Ausblick bietet. Beim Abstieg kommen wir an Natursteinpfeilern vorbei. Sie stehen rechts am Weg und sollen bei Nebel Orientierung geben. Ventalon hingegen geben sie Anlass stehen zu bleiben. Sein Signal ist klar: An den Dingern gehe ich nicht vorbei.

Wir tun, was uns in einem solchen Fall bei der kurzen Einführungsrunde in Castagnol geraten wurde: Einer zieht vorne, einer fängt hinten das Winken an und schon geht es weiter – bis zum nächsten Pfeiler. Bei Pfeiler Nummer vier ist Ventalons Scheu endlich verflogen und wir gehen ruckfrei an den restlichen Pfeilern vorbei. Sage noch einer, Lernkurven bei Esel seien flach.

Weiler, Blumenfelder, Geschichten

Die Landschaft ist abwechslungsreich und beeindruckt uns immer wieder. Die einzige Konstante sind die Ginsterbüsche, ansonsten ändert sich das Landschaftsbild täglich. Wir kommen durch Weiler mit drei Häusern, alle in typischer regionaler Bauweise aus Natursteinen aufgebaut. Beim Weiler L’Hopital kommen wir an einem Narzissenfeld vorbei, auf dem Weg zum Mas de la Barque wechseln wir an einer Untiefe die Wanderschuhe gegen Badeschlappen, wir trinken Wasser aus den Bächen und staunen immer wieder darüber, wie sicher und gelassen unser Esel sich über Geröll, enge Felswege und Schieferplatten bewegt. Bevor wir Wasserläufe überqueren, bleibt er kurz stehen, bringt das Maul dicht ans Wasser, prüft die Tiefe und geht weiter.

Alter Kamin und große Gastfreunschaft

In manchen unserer Unterkünfte sitzen wir abends mit unseren Gastgebern am Tisch beim Essen und erfahren einiges über Land und Leute. Das Haus von Mario und Jaqueline war vor Jahren noch ein Sanierungsfall mit eingefallenen Mauern, herumliegenden Steinen und morschen Balken. Mario ist Zimmermann, er packt an, nach vier Jahren ist das Haus fertig. Die Gästezimmer sind toll geworden, der große Raum, in dem wir essen, ist gemütlich. Hinten im Raum ist ein Kamin, in den die Zahl 1567 eingemeißelt ist. Der Kamin stammt aus einem alten Schloss. Mario hat ihn gekauft, abgebaut, in sein Haus transportiert und wieder aufgebaut. Bei Inbetriebnahme hat es kräftig geraucht, deshalb musste Mario in den Kamin einen zweiten einbauen, der richtig zieht.

14 Tage Handarbeit am Steintisch

Der große Steintisch im Innenhof war ebenfalls ein Handwerksprojekt von Mario. 14 Tage lang hat er die Tischplatte mit Hammer und Meißel bearbeitet. Doch er ist nicht nur ein versierter Handwerker. Am Abend greift Mario zum Akkordeon und spielt für seine Gäste. Wein, Käse, Musik – Frankreich. Auch bei Villefort übernachten wir in einer ehemaligen Ruine. 20 Jahre lang haben die Besitzer ihr Haus aufgebaut, umgebaut, ausgebaut. Heute haben sie ein Schmuckstück mit Pool, Charme und Ökosiegel.

Mit dem Esel durch die Natur

Eine Wanderung mit Packesel durch die Sevennen führt einen zu Eindrücken, Geschichten, Landschaften, Natur, Anstiegen, über Gipfel, durch Wälder, aber nur selten über Straßen und nie durch Lärm und Hektik. Und sie führt zu einem entspannten Tempo, denn Esel haben die Ruhe weg. Egal, ob die Sonne scheint oder der Donner grollt.

Link zum Veranstalter: https://www.wandertouren-frankreich.de/

Link zu unserer Tour “Mont Lozère mit Packeseln“.

Bildergalerie zur Eselwanderung am Mont Lozère.
Durch Anklicken eines Bildes wird die Galerie geöffnet.

Christoph Bächtle
studierte Technische Biologie und Wissenschaftskommunikation. Er arbeitet als Texter und Fotograf für Unternehmen, Agenturen und Organisationen.

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