„Wir leben im größten gesellschaftlichen Umbruch der vergangenen 200 Jahre“

„Wir leben im größten gesellschaftlichen Umbruch der vergangenen 200 Jahre“

In Stuttgart fand die dritte OPEN! Konferenz für digitale Innovation mit über 370 Teilnehmern statt. Veranstalter der OPEN! waren die MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg und der OSB Alliance e.V. Leitthema war künstliche Intelligenz und wie sie Arbeitswelt, Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft verändern wird. Als Keynoteredner trat neben weiteren der Philosoph Richard David Precht auf.

In ihren Vorträgen wiesen Richard David Precht, Dirk Helbing, Professor für Computational Social Sciences an der ETH Zürich, und Martina Mara vom Ars Electronica Futurlab in Linz auf große zukünftige Veränderungen durch künstliche Intelligenz hin. Sie zeigten aber auch Handlungsansätze auf.

Erstmals keine neuen Arbeitsplätze durch eine industrielle Revolution

„Wir leben im größten gesellschaftlichen Umruch der vergangenen 200 Jahre“, erläuterte der Philosoph, Journalist und Publizist Richard David Precht in seinem Vortrag „Die digitale Revolution und die Zukunft der Arbeit“. Die vierte industrielle Revolution wird mit der künstlichen Intelligenz einen alten Menschheitstraum erfüllen: „Sie befreit uns von stupider Arbeit, denn diese werden dann Maschinen übernehmen.“ Weil dadurch die Menschen weniger Arbeit hätten, müssten Konzepte wie das bedingungslose Grundeinkommen umgesetzt werden. „Zum ersten Mal wird eine industrielle Revolution nicht Arbeitsplätze schaffen. In vielen Berufen wird es nur noch hochqualifizierte Jobs geben. Selbst für Informatiker besteht keine Beschäftigungssicherheit mehr. Computer werden besser Computer programmieren können als Menschen.“ Diese tiefgreifenden Veränderungen fordern, Werte, Bildung, Steuersystem und vieles mehr völlig neu zu denken. „Die Kategorien der klassischen Leistungsgesellschaft gehen verloren“, sagte Precht.

Helbing: „Wie sollten Daten und Algorithmen teilen“

„Unternehmen wie Google, facebook und IBM arbeiten am Betriebssystem der Gesellschaft. Das Beispiel Citizen Score in China zeigt, welchen Einfluss Daten durch KI bekommen können. Daten snd das neue Öl“, erläuterte Dirk Helbing. Er sieht im gemeinsamen Handeln einen wesentlichen Faktor, künstliche Intelligenz verantwortungsvoll zu gestalten. Und es ist der einzige Weg, damit Europa nicht noch mehr Boden gegenüber dem Silicon Valley verliert: „Die Komplexität wächst kombinatorisch. Aus meiner Sicht müssen wir als kollektive Intelligenz handeln. Kombinatorische Innovation ermöglicht uns, den Rückstand zum Silicon Valley aufzuholen. Wenn wir Daten und Algorithmen teilen würden, dann würden sie Menschen noch besser befähigen, Innovationen voranzutreiben.“

Mara: „Handeln von Robotern muss vorhersehbar sein“

Dr. Martina Mara vom Ars Electronica Futurelab in Linz gab in ihrem Vortrag einen Einblick in ihre Forschungen über die Interaktion von Robotern und Menschen. „Studien haben gezeigt, dass uns Roboter umso unheimlicher erscheinen, je ähnlicher sie uns gestaltet werden. Am wenigsten Unbehagen empfinden wir bei einem klassischen Industrieroboter. Die größte Ablehnung lösen Roboter aus, die am menschenähnlichsten sind“, berichtete sie. Doch nicht nur der visuelle Eindruck ist wichtig. Auch was ein Roboter tut, hat Einfluss auf die Akzeptanz. Untersuchungen zeigten, dass Roboter, die in ihren Bewegungsausführungen auf Effizienz getrimmt wurden, Unbehagen auslösen. Mara erklärte: „Ihr Verhalten ist für uns dann nicht vorhersehbar. Wir müssen also darauf achten, dass Roboter, aber auch selbstfahrende Autos, für uns Menschen kalkulierbar und als Maschinen erkennbar sind.“

Teilen, gestalten, verändern

Die OPEN! 2017 zeigte, dass künstliche Intelligenz enorme Veränderungen bringen wird. Sie zeigte aber auch, dass eine Kultur der Offenheit unverzichtbar ist, um künstliche Intelligenz im Sinne der Menschen zu entwickeln. Künstliche Intelligenz kann viel Positives bewegen, zum Besipiel durch das Teilen von Daten, Algorithmen und Technologien. Sie verlangt aber auch aktives Gestalten der Veränderungsprozesse.  Und sie fordert Bereitschaft, bisherige Wertesysteme, Denk- und Handlungsmuster auf den Kopf zu stellen. Man darf das Thema KI, so ein Fazit der diesjährigen OPEN!, nicht einigen wenigen Akteuren überlassen.

Hier noch eine Bildergalerie von der OPEN! 2017.

Christoph Bächtle
studierte Technische Biologie und Wissenschaftskommunikation. Er arbeitet als Texter und Fotograf für Unternehmen, Agenturen und Organisationen.